Für Europa ist es noch ein langer Weg bis in die Champions League

(aber bis dahin halten wir Isar Aerospace & Co. alle verfügbaren Daumen)

In einer Grundsatzrede bei den Perspectives Spatiales 2025 am 12. Februar in Paris umriss Andrius Kubilius, der EU-Kommissar für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt, die schwierige Lage, in der sich der europäische Raumfahrt und hier vor allem der Trägerraketensektor befindet. Er bezeichnete den eigenständigen Zugang des Kontinents zum Weltraum als entscheidend wichtig für die strategische Autonomie Europas. Dabei räumte er ein, dass die Einführung der Ariane 6 und die Wiederaufnahme des Flugbetriebs der Vega C „wichtige Schritte“ seien. Gleichzeitig betonte er aber auch, dass Europa seine Arbeit an Trägerraketen beschleunigen und dabei vor allem Schlüsseltechnologien wie Wiederverwendbarkeit und Rückkehrfähigkeit der Trägersysteme beherrschen müsse.

Grafische Darstellung der Spectrum-Rakete. Quelle: Isar Aerospace

Kubilius klang damit etwas weniger  optimistisch, als nur wenige Wochen zuvor ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher. Der hatte beim alljährlichen Presse-Briefing der ESA am 9. Januar bereits das Ende der europäischen Trägerraketenkrise verkündet.

Da liegt er nicht ganz falsch. Die Talsohle europäischer Trägerraketen-Aktivität wurde 2023 und 2024 durchschritten. In diesen beiden Jahren gab es nur noch jeweils drei Orbitalmissionen. Der Alte Kontinent blieb damit im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. In besseren Jahren, wie etwa 2007, waren es noch – auch nicht gerade berauschende – neun Starts gewesen. Bei damals gerade mal 68 jährlichen Starts weltweit war das immerhin ein Marktanteil von 13 Prozent.

Statischer Brennlauf der 1. Stufe der Spektrum in Andøya im Februar

Um einen solchen Vergleich braucht man sich heute gar nicht mehr erst zu bemühen, sonst verfällt man in Depressionen. Alleine das kleine neuseeländisch-amerikanische Unternehmen Rocket Lab schaffte 2024 mit nur wenigen hundert Mitarbeitern 15 Starts auf zwei Kontinenten, davon führten 13 in den Orbit und zwei waren orbitnahe suborbitale Missionen. China flog 68 Orbitaleinsätze und das Privatunternehmen SpaceX führte alleine 145 Missionen durch. Der Anteil Europas an den 261 Orbitalmissionen des vergangenen Jahres  betrug somit gerade noch 1,15 Prozent.

Nach dem halbwegs erfolgreichen Erstflug der Ariane 6 und der Rückkehr der Vega C in den aktiven Dienst im letzten Jahr geht Europas Trägerindustrie nun wieder auf Aufwärtskurs. Der zeigt sich allerdings holpriger als erhofft. Noch im Herbst letzten Jahres waren für 2025 alleine zehn institutionelle Missionen geplant, nämlich sechs Ariane 4-Flügen und vier Einsätzen der Vega C. Dazu eine nicht bekannte Anzahl von Starts privater Raketenentwickler. Aber schon im Januar sank die Planung auf nur noch neun Flüge, und auch an dieser Zahl darf inzwischen stark gezweifelt werden.

Spectrum-Rakete vor wenigen Tagen

Die erste Ariane 6-Mission des Jahres fand erst am 6. März statt, neun Monate nach dem Erstflug. Die zweite wird nicht vor August erfolgen. Das würde bedeuten, dass in den vier Monaten von September bis Dezember drei weitere Ariane 6-Flüge stattfinden müssten um selbst die reduzierte Planzahl zu treffen, darunter auch der Erstflug der Ariane 64-Version mit vier Boostern. Seien wir realistisch: wir können froh sein, wenn es acht institutionelle Missionen im Jahr 2025 werden. Nur: Ein Aufstieg in die Champions League-Plätze ist das nicht. Sowas schafft SpaceX in zwei Wochen.

Es ist also noch ein langer Weg bis Europa wieder konkurrenzfähig ist. Und das betrifft nicht nur die Ariane 6 und die Vega, sondern auch die mehr als ein Dutzend Nano-, Mikro und Miniträger, die in Europa in Vorbereitung sind.  Wäre es nach den ursprünglichen Plänen und Prognosen ihrer Entwickler gegangen, dann müssten die meisten davon längst ihren Flugbetrieb aufgenommen haben. Tatsächlich aber hat noch kein einziger dieser europäischen „Hoffnungsträger“ die Startrampe verlassen.

Die Spectrum-Rakete wird zum Startplatz transportiert. Quelle: Isar Aerospace.

Stattdessen gab es einen spektakulären Unfall. Ein Ereignis von der Art, das Elon Musk gerne als RUD bezeichnet, als „Rapid Unscheduled Disassembly“. Der ereignete sich auf dem Startplatz am schottischen Saxavord Weltraumbahnhof auf der Insel Unst im äußersten Norden der Shetland-Inseln am 20. August letzten Jahres, als die Erststufe der RFA-1-Trägerrakete der Rocket Factory Augsburg (RFA) bei einem Triebwerkstest explodierte. Wäre das nicht passiert, dann hätte womöglich der Start einer orbitalen europäischen Kleinträgerrakete längst stattgefunden.

Doch nun tritt die Isar Aerospace an, RFA‘s Konkurrent aus München.  Am 17. März kündigte das Unternehmen an, dass der Jungfernflug ihrer Spectrum-Rakete zwischen dem 23. und 30. März vom norwegischen Weltraumbahnhof Andøya aus stattfinden könnte.

Schon am 12. März hatte Andøya Space, das mehrheitlich staatliche kommerzielle Unternehmen, das den Weltraumbahnhof Andøya betreibt, eine NOTAM (wörtlich: Notice to Airman) veröffentlicht. Das ist eine Warnung für den Luft- und Schiffsverkehr für eben diesen Zeitraum.

Die Spektrum-Rakete wird am Startplatz in Andøya aufgerichtet. Quelle: Isar Aerospace.

Im Februar hatte Isar Aerospace schon bekannt gegeben, dass mit den erfolgreichen Brennläufen der ersten und zweiten Stufe die letzten wichtigen Meilensteine in der Entwicklung ihrer zweistufigen Spectrum-Rakete erfolgreich abgeschlossen seien. Seinerzeit erklärte das Unternehmen, die einzige verbleibende Hürde vor dem ersten Startversuch sei nun der Erhalt einer Startlizenz der norwegischen Zivilluftfahrtbehörde (CAA Norwegen). Und die hat sich inzwischen auch gemeldet, und erklärt: Startgenehmigung erteilt.

Es wird also superspannend die nächsten Tage. Wer den Fortschritt um den Erstflug der Spectrum mitverfolgen will, hier https://www.isaraerospace.com/newsroom-first-test-flight ist der „Newsroom“, der jeweils Updates erfährt, sobald es neue Nachrichten gibt.

Drohnenaufnahme vom Startplatz in Andøya mit aufgerichteter Rakete.

Nicht lange nach Isar Aerospace müssten dann auch die Augsburger Konkurrenten mit ihrer Rakete wieder so weit sein. Bei den anderen europäischen Mitwettbewerbern um den Titel des „Ersten europäischen Orbitalstarts von europäischem Boden aus“ wird es wohl in diesem Jahr (noch) nichts werden.

Rechnen wir es uns also nochmal durch: Die Ariane 6 könnte in diesem Jahr realistischerweise vier Missionen schaffen. Dazu kommen – optimistisch gerechnet – vier Einsätze der Vega C, und obendrauf zumindest je ein Startversuch von Isar Aerospace und der Rocket Factory Augsburg. Macht also zehn europäische Einsätze bei in etwa zu erwartenden 300 Orbital- und Planetenmissionen insgesamt in diesem Jahr. Das wären dann zwar mehr Starts als Europa in den ganzen 2000er-Jahren in einem einzelnen Jahr erreicht hat, aber es sind trotzdem nur 3,3 Prozent aller weltweit zu erwartenden Orbitalflüge. Bis zu den Champions-League-Plätzen ist es für Europa noch ein langer Weg. Seis drum: Jetzt halten wir erst einmal der Isar Aerospace mit ihrer Spectrum-Rakete alle verfügbaren Daumen.


ein Beitrag von Eugen Reichl