Das Raumfahrtjahr 2021: Die Highlights

Das Raumfahrtjahr 2020 war reich an Highlights, wie ich hier vor wenigen Tagen berichtet habe. Was aber werden wir im neuen Jahr erleben? Eine kritische Betrachtung als Einführung ist hier vorab notwendig, denn, um ein bekanntes Scherzwort zu bemühen: „Prognosen sind immer dann besonders unzuverlässig, wenn sie die Zukunft betreffen“.

2021 wird einmal mehr Chinas Jahr im Weltraum (Bild: CNSA)

Beginnen wir mit den Dingen, die wir für 2021 „eigentlich“ erwarten müssten, glaubten wir den Ankündigungen der Firmen und Institutionen. Vieles, was in diesen Tagen noch vollmundig für 2021 angekündigt ist, werden wir in diesem Jahr aber definitiv nicht sehen. Schauen wir uns dazu zunächst in Europa um:

Kein Erstflug der Ariane 6

Einen Erstflug der Ariane 6 wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Der ist nämlich schon vor einigen Wochen verschoben worden, und zwar gleich herzhaft um ein volles Jahr. Von Mitte 2021 auf Mitte 2022. Begründung: „Corona“. Das ist ziemlich enttäuschend, denn in diesem Projekt gibt es weit und breit keine sonderlich neue oder irgendwie riskante Technologie zu meistern. Ich erinnere mich an die Zeit bis vor etwa fünf Jahren, als man den Erstflug der Ariane 6 zum 50. Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung prognostizierte, also für den Juli 2019. Tatsächlich werden wir von Glück reden können, wenn er noch vor dem 50. Jahrestag der LETZTEN bemannten Mondlandung stattfindet. Und das mit einer Rakete, die – auch wegen der permanenten Verzögerungen – zunehmend ohne Zukunft ist, und eigentlich in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gehört.

Keine Chance auch für SLS & Co

Permanente Verschiebungen gibt es auch bei einem Projekt, das in einer ganz anderen Liga spielt: ARTEMIS. Und auch hier betrifft es die Trägerrakete: das Space Launch System, auch kurz SLS gennannt. Das SLS hätte nach den ursprünglichen Planungen eigentlich schon 2017 einsatzbereit sein sollen. Seit einer ganze Weile steht nun als offizieller Termin für den Erstflug des SLS der Oktober 2021 auf dem Plan. Vergessen Sie das ruhig schon mal. Es wird 2021 nicht stattfinden.

Auch das ISS-Versorgungssystem Dream Chaser wird in diesem Jahr nicht wie angekündigt fliegen, sondern irgendwann 2022. Vielleicht. Südkoreas Nuri-Rakete schafft es ebenfalls nicht. Genauso wenig wie Japans H3. Indiens (noch unbemannter) Erstflug der Ganganyaan-Kapsel: Keine Chance. Auch Blue Origins New Glenn wird nicht den für 2021 angekündigten Erstflug antreten. Und auch für die Vulcan-Rakete der United Launch Alliance sieht es mau aus. Vor allem, weil die von Blue Origin zu liefernden Haupttriebwerke nicht rechtzeitig fertig werden.

Insgesamt sind mehr als zwei Dutzend neue Typen von Trägerraketen für 2021 zum Erstflug gemeldet. Angefangen von der Alpha (von Firefly) bis zur Zhuque-3 (von Landspace). Seien Sie versichert: Es werden vielleicht fünf davon sein, die am Ende die Startrampe in Richtung Orbit verlassen.

Und das sind nur die Großprojekte. Im Kleinen sieht es nicht besser aus. So sind auch eine ganze Reihe kleinerer Mondmissionen für 2021 angekündigt. Von denen wird sich aber nur eine einzige halbwegs sicher realisieren. Mit etwas Glück vielleicht auch zwei. Die eine wird die Capstone-Minisonde sein, die mit Rocket Lab auf die Reise geht, und – man mag es kaum fassen nach unglaublichen 25 Jahren Vorbereitungszeit – auch die russische Mondsonde Luna 25. Die könnte vielleicht bis Dezember 2021 grade noch eben auf die Reise gehen, bevor schon wieder ein neues Jahr anbricht.

Der gesamte Rest der Mondsonden bleibt auf der Erde: Peregrine, weil die Vulcan-Trägerrakete nicht rechtzeitig fertig wird. Die indische Chandrayaan 3-Sonde, Lunar Mission One und Nova-C von Intuitive Machines weil, nun ja, weil eben Chandrayaan 3, Lunar Mission 1 und Nova-C nicht rechtzeitig fertig sein werden. Und ARTEMIS mit seinem Schwarm von 13 Klein-Mondsonden wird ebenfalls die Erde nicht verlassen, auch wenn die NASA noch ein paar Monate lang etwas anderes behaupten wird. Meine Vermutung für ARTEMIS I: Juni 2022. Aber da muss etwas eintreten, was bisher in diesem Projekt noch nie der Fall war: Es muss gut laufen.

Die Leserfrage

Zum ARTEMIS-Projekt der NASA haben wir eine „Zeittunnel-Extra“-Frage an unsere Leser. Sie lautet: Wann wird Ihres Erachtens die erste bemannte Mondlandung der Nach-Apollo-Ära erfolgen? Die NASA behauptet ja, sie würde im Oktober 2024 erfolgen. Was schätzen Sie? Für diejenige oder denjenigen welche(r) dem richtigen Zeitpunkt am nächsten kommt gibt es einen Preis, den wir noch verkünden werden. Mitmachen kann man auf space-jahrbuch.de/zt_mitmachen

Nur Ausfälle? Oder ist auch was los in 2021?

Nach diesem kleinen Ausflug zu unserem Zeittunnel-Projekt und der davor gemachten ziemlich ernüchternden Aufstellung werden Sie sich jetzt fragen: Was findet dann in 2021 eigentlich überhaupt noch statt? Die Antwort: Wenn nicht der dritte Weltkrieg ausbricht, Corona nochmal einen vehementen Endspurt einlegt oder andere derzeit noch unvorhersehbaren Katastrophen über uns hereinbrechen: Erstaunlich viel und erstaunlich interessantes.

Trotz der geschilderten Ausfälle wird es ein topspannendes Jahr mit einer enormen Anzahl spannender Ereignisse sein. Womöglich, ich mag es kaum glauben, startet in diesem Jahr sogar das James Webb-Space-Teleskop, das bislang den absoluten Rekord in Dauerverschiebungen in Zusammenhang mit exponentiellen Kostensteigerungen hielt. Vielleicht erinnern Sie sich: James Webb sollte nach der ursprünglichen Planung 2007 starten und 500 Millionen Dollar kosten. Heute werden die Missionskosten auf etwa zehn Milliarden Dollar geschätzt. Der Start ist momentan noch für Oktober geplant, und könnte vielleicht, vielleicht, grade noch im Dezember auf die Reise gehen. Allerdings würde ich darauf nicht mehr als 50 Cents verwetten.

Drei Raumsonden am Roten Planeten und vieles mehr

Im Februar werden drei Raumsonden den Mars erreichen. Sie tun das in jedem Fall, denn sie sind alle drei schon nicht mehr weit vom Ziel entfernt. Die Orbitsonde Hope der Vereinigten Arabischen Emirate und die hochkomplexe chinesische Orbiter/Lander/Rover-Kombination Tianwen 1 werden in die Umlaufbahn eintreten. Der plutoniumbetriebene US-Rover Perseverance wird eine Direktlandung direkt aus der Anflughyperbel unternehmen und hoffentlich sicher im Jezero-Krater landen um eine Forschungsmission von mindestens zehn Jahren Dauer zu beginnen. Dabei wird er Proben aus dem Gestein entnehmen, die gegen Ende des Jahrzehntes von einer Probenrückführsonde abgeholt und zur Erde gebracht werden sollen. Im April oder Mai wird dann der chinesische Tianwen 1-Orbiter die Lander/Rover-Kombination absetzen.

Eigentlich sollte bei der großen Mars-Gala auch Europa mit dabei sein. Aber auch hier gab es eine Enttäuschung. Dabei war es ursprünglich schon für 2018 vorgesehen, den Kasatschok-Lander mit dem Rosalind Franklin-Rover loszuschicken. Nun schaffte man es also auch 2020 nicht. Aber ob mit oder ohne Europa: Die internationale Mars-Gala wird einer der ersten Höhepunkte des Raumfahrtjahres 2021 werden.

Für viel Unterhaltung wird in diesem Jahr auch wieder SpaceX sorgen. Wir können im Durchschnitt etwa alle zehn Tage mit einer Orbitalmission des Unternehmens rechnen. Dabei wird SpaceX auch drei bemannte Raumfahrzeuge zur ISS senden, darunter – gegen Ende des Jahres – die erste (von Axiom-Space) privat finanzierte bemannte Mission. Außerdem drei unbemannte Cargo Dragon-Missionen. Es werden auch bis zu drei Missionen mit der Falcon Heavy durchgeführt werden.

Matthias Maurer (links) und Thomas Pesquet bei Training (Bild: ESA)

Im Frühjahr transportiert SpaceX den französischen ESA-Astronauten Thomas Pesquet und im Herbst den Deutschen Matthias Maurer mit einer Crew Dragon-Kapsel zur Raumstation. Dort sollen die beiden jeweils sechs Monate verbringen.

SpaceX und OneWeb werden damit fortfahren, ihre Internet-Konstellationen auszubauen. Die Starlink-Konstellation wird dabei in diesem Jahr bereits ihre erste Ausbauphase erreichen und in Betrieb gehen.

RocketLab beginnt mit den Orbitalstarts in Wallops Island (bisher startete das Unternehmen nur vom neuseeländischen Mahia aus) und wird auf dem Weg zur Wiederverwendbarkeit ihrer Raketen einen guten Schritt weiter vorankommen.

Boeings Starliner wird, einen erfolgreichen unbemannten Testflug im März oder April vorausgesetzt, gegen Ende des Jahres ebenfalls ins Geschäft mit der NASA für die bemannten Transporte zur ISS einsteigen.

Die ISS wird zwei neue Module erhalten: Nauka und Prichal. Das ist der erste größere Ausbau der ISS seit vielen Jahren.

Von SpaceX dürfen wir von der Basis im texanischen Boca Chica ziemlich sensationelle Testflüge erwarten. Das Unternehmen schickt ihre Starship Prototypen reihenweise zu immer anspruchsvolleren (zunächst noch suborbitalen) Flügen los. Es wird spektakuläre Explosionen geben (RUD’s, oder Rapid Unscheduled Disassemblies, wie es Elon Musk zu nennen pflegt) und gewiss auch einige ebenso spektakuläre Erfolge.

China wird erneut für Schlagzeilen sorgen

Und dann ist da China. Einmal mit ihrem schon erwähnten Tianwen 1-Marsunternehmen. Vor allem aber auch weil es in diesem Jahr ernst wird mit dem Aufbau der chinesischen Raumstation. Ich erwarte heuer fünf oder sechs Missionen für dieses Großvorhaben. Den Transport der ersten beiden Labormodule, nämlich Tianhe-1 und Wentian, zwei bemannte Missionen mit Shenzhou 12 und 13, beide jeweils von mehreren Monaten Dauer und schließlich die Lieferung von Nachschub und Ausrüstung in zwei großen Tianzhou-Nachschubraumschiffen.

Chinesische Raumstation nach der ersten Ausbauphase (Die Grafik zeigt den Planzustand gegen Ende 2022). Bild: CNSA

Und auch eine Reihe interessanter Forschungsmissionen werden 2021 ihren Anfang nehmen: Der Laser Relativity Satellite Nummer 2 (kurz: LARES-2) wird mit der ersten Vega C auf die Reise gehen. Hoffen wir, dass es nicht schon wieder zu einem Fehlstart kommt. Die Mission Double-Asteroid Redirection Test (DART) wird von Vandenberg aus zu ihrem Ziel, dem Doppelasteroiden 65803 Didymos, aufbrechen. Die NASA will auch das Imaging X-ray Polarimetry Explorer (IXPE) starten und einige Monate später die Raumsonde Lucy zu einer Besuchsreise zu nicht weniger als acht verschiedenen Asteroiden entsenden. Sieben davon sind Trojaner des Jupiter, aber mit 52246 Donaldjohanson ist auch ein Asteroid des Hauptgürtels mit dabei.

Und noch etwas wird 2021 in den Raumfahrt-Schlagzeilen landen. Wir werden nämlich in diesem Jahr wahrscheinlich die ersten bemannten Flüge des New Shepard von Blue Origin und den ersten Passagierflug des SpaceShipTwo von Virgin Galactic erleben. Letzterer mit keinem Geringeren als Sir Richard Branson an Bord. Grade bei Virgin Galactic behaupte ich das allerdings schon seit mehr als einem halben Jahrzehnt jedes Jahr aufs Neue. Aber dieses Mal würde ich richtig Geld darauf verwetten. Sagen wir mal: einen Euro.

8 Kommentare zu „Das Raumfahrtjahr 2021: Die Highlights

  1. Ich stimme Herrn Peter Schramm vollkommen zu ! Einfach fantastisch ! Es gibt keinen besseren Raumfahrtkenner, wie Herrn Eugen Reichl !

    Viele Grüße !

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