Das Raumfahrtjahr 2022 – Vom Rückblick zum Ausblick

Das Raumfahrtjahr 2021 endete mit zahlreichen neuen Rekorden. Sie aufzählen zu wollen würde die Länge dieses Blogbeitrag bei weitem überschreiten. Werfen wir – als Beispiel – aber einmal einen Blick in die Startstatistik. Wir könnten natürlich auch andere Gebiete als Vergleichsmaßstab nehmen, wie etwa die Anzahl der Nutzlasten, die Nutzlastmasse oder wirtschaftliche Faktoren wie Firmengründungen und Börsengänge. Oder die Anzahl neuer geostationärer Satelliten (Spoiler: es waren 31, von denen 14 aus China stammen).

Die Starttätigkeit aber ist die offensichtlichste Messlatte für die Zunahme der Raumfahrt als Wirtschaftsfaktor und die Leistungsfähigkeit einer Raumfahrtnation. Sie hat sich innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt und hat nun fast den dreifachen Umfang der 2000er-Jahre. Beim reinen Nutzlastgewicht ist diese Zunahme noch viel größer. Am meisten dazu beigetragen hat die fast explosionsartige Zunahme der Starttätigkeit von SpaceX und vor allem auch die steil ansteigenden Startzahlen Chinas, dessen Abstand zum Rest der Welt sich immer weiter vergrößert.

Insgesamt gab es 2021 144 Orbital- und Sondenstarts, so viele wie noch nie zuvor. Der Abstand Chinas, das alleine 55 Starts durchführte, vergrößerte sich gegenüber den USA auf zehn Starts. Und von den insgesamt 45 US-Missionen führte alleine SpaceX 31 durch. Platz 3 belegte Russland mit 25 Orbitalmissionen. Der Abstand des einstigen langjährigen „Weltrekordhalters“ zu den beiden Spitzenreitern vergrößert sich Jahr für Jahr immer mehr.

Von der Anzahl der Starts her führten die Weltraumbahnhöfe Cape Canaveral (31 Starts) vor Jiuquan (22), Xichang (16), Baikonur (15) und Taiyuan (11).

Interessant ist, dass SpaceX für ihre 31 Starts nur zweimal neue Raketen eingesetzt hat. Wiederverwendbarkeit, von den alten Aerospace-Giganten noch vor wenigen Jahren als Marketing-Stunt mit Häme und Spott belegt, ist zum entscheidenden Faktor wirtschaftlicher Starttätigkeit geworden. Nach dem furiosen Raumfahrtjahr 2021 deuten alle Anzeichen darauf hin, dass sich auch 2022 die Bezeichnung „furios“ verdienen kann. Die Rekorde von 2021 dürften noch einmal überboten werden.

Lassen wir es damit gut sein mit der Statistik. Die ausführlichen Zahlen werden sie wieder ab Spätherbst in SPACE 2023 nachlesen können. Kommen wir nun zu den Prognosen für das neue Jahr. Da fragen Sie sich vielleicht, wie gut die Prognosen sind, die Sie an dieser Stelle lesen. Werfen Sie dazu einfach einmal einen Blick auf meine Vorhersage vom vergangenen Jahr. Der ist hier https://space-jahrbuch.de/arbeit.php?id=101 zu finden. Bei aller Bescheidenheit: Besser geht es fast nicht.

Schauen wir uns also an, was uns 2022 erwarten kann und was, allen aktuellen und vollmundigen Ankündigungen zum Trotz, nicht eintreffen wird. Damit es nicht zu sehr ausufert notiere ich an dieser Stelle lediglich meine Top-20. Angefangen beim negativsten bis hin zum positivsten und aus meiner Sicht bedeutungsvollsten Ereignis.

Legen wir also los, und beginnen mit Platz…

20.
Auch 2022 wird es keinen Erstflug der Ariane 6 geben. Wir erinnern uns: Beim Programmstart war der Erstflug für Juli 2019 gesprochen worden. Seitdem verschiebt er sich Jahr für Jahr. Auch die (wesentlich fortschrittlichere) Vulcan der United Launch Alliance wird, allen Ankündigungen zum Trotz, heuer nicht fliegen.

19.
Kein einziger der neuen europäischen Kleinträger wird seinen Erstflug erleben. Weder die Skyrora XL von Skyrora, noch die Prime von Orbex. Nicht die Miura 5 von PLD-Space oder die Spectrum von Isar Aerospace. Weder die RFA One der Rocket Factory Augsburg noch die SL1 von HyImpulse.

18.
Ähnlich ist es mit dem Dream Chaser von Sierra Nevada. Auch er wird, allen Ankündigungen zum Trotz, dieses Jahr nicht die Startrampe verlassen.

17.
Ich halte es nicht mehr für völlig ausgeschlossen, dass Virgin Galactic gegen Jahresende Konkurs anmelden wird. Das grauenhaft schlecht geführte Unternehmen von Richard Branson ist nichts weniger als ein „Trainwreck“, in dem Geld in riesigen Mengen verbrannt wird, ohne dass etwas Nutzbares dabei herauskommt. Gerade zum Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen schreibe, steht das Vorhaben schon wieder einmal für ein knappes Jahr still, weil am Trägerflugzeug WhiteKnight2 umfangreiche Reparaturen notwendig sind. Die Maschine ist aber der einzige Träger, über den das Unternehmen verfügt. Fällt er aus, gibt es keinen Flugbetrieb. Gibt es keinen Flugbetrieb, gibt es keine Einnahmen. Gibt es keine Einnahmen gibt es nur Kosten. Und diese Situation führt irgendwann zum Ende.

16.
Auch in diesem Jahr wird es keine Gaganyaan-Flüge in Indien geben. Weder unbemannte Testflüge noch gar bemannte Missionen.

15.
Alle Mondlandevorhaben, die im Jahr 2021 zwar angekündigt waren, aber nicht stattfanden, sind jetzt für 2022 versprochen. Rechnen Sie lieber nicht damit und stellen die Hälfte vom Popcorn wieder zurück ins Regal. Immerhin sind die Chancen nicht schlecht, dass es dieses Mal zumindest ein paar tatsächlich schaffen. Unter denen mit guten Chancen ist – einmal mehr – Luna 25 aus Russland irgendwann zwischen Juli und September, CAPSTONE der NASA, die Cubesats des ARTEMIS 1-Mission und der Korean Pathfinder Lunar Orbiter.

Das war’s dann wahrscheinlich schon. Nicht schaffen werden es Chandrayaan 3, der japanische SLIM-Lander, Rashid der VAE und mit ihm zusammen der japanische Hakuto R-Lander, Mission 1 von iSpace, Nova-C und Peregrine.

14.
Mit dem Start des ESA-Weltraumobservatoriums Euclid, ausgestattet mit einem mächtigen 1,2 Meter-Spiegel und eigentlich geplant für Herbst 2022, wird es wohl nichts mehr. Darauf können wir uns wahrscheinlich erst 2023 (hoffentlich) drauf freuen.

13.
Dagegen wird die Vega C ihren vielfach verschobenen Erstflug erleben. Auch er findet mit mehrjähriger Verzögerung statt. Hoffen wir, dass es klappt.

12.
Der Starliner von Boeing wird wohl im Mai oder Juni den zweiten Anlauf für seinen unbemannten Testflug absolvieren. Der dürfte gelingen, aber das wird es dann auch schon sein. Einen bemannten Einsatz dieses Fluggerätes wird es auch 2022, vier Jahre nach dem Plantermin, nicht geben.

11.
Nach den ersten erfolgreichen Testflügen des Starships dürfte Blue Origin den Entwurf des New Glenn noch einmal entscheidend ändern, um zukünftig eine Chance gegen SpaceX zu haben. Bin schon gespannt, wie das aussehen wird.

10.
Nun werden die Nachrichten langsam besser. Eine der „good news“ ist, dass mit Samantha Cristoforetti die ISS ihre erste Kommandantin aus Europa bekommt. Sie trifft im April mit der SpaceX Crew-4 am Außenposten ein.

9.
Und weil wir grade bei der ISS sind. Auch in diesem Jahr werden Privatastronauten dorthin fliegen. Für den 28. Februar 2028 ist die Axiom 1-Mission geplant. Unter dem Kommando des ehemaligen NASA-Astronauten Michael López-Alegría werden Larry Connor, Mark Pathy und Eytan Stibbe zur ISS fliegen und dort acht bis zehn Tage verbringen. Dazu kommen zwei Tage Zeit für die An- und Abreise im Crew Dragon von SpaceX. Möglicherweise wird im Spätherbst oder Frühwinter noch die Mission Axiom 2 durchgeführt. Unter dem Kommando der legendären Peggy Whitson.

8.
Eine immense Anzahl von Aktivitäten wird China dem Raumfahrtjahr 2022 beisteuern. So dürfte es in diesem Jahr zum Erstflug der Langer Marsch 6A kommen, einer Rakete, die mittelfristig die Langer Marsch 2C ablösen soll. Die – potentiell – wiederverwendbare Langer Marsch 8 wird ihren zweiten Testflug durchführen. Weitere Erstflüge betreffen die Zhongke-1A, Zhuque-2, die Nebula und Tianlong-1. Auch interessante astrophysikalische Missionen stehen in China auf dem Programm, wie etwa der Einstein-Satellit oder das Advanced Space-Based Solar Observatory (ASO-S). Insgesamt können wir über 60 chinesische Starts in diesem Jahr erwarten.

7.
Und weil wir grade bei China sind: Eines der Top-Ereignisse wird die Fertigstellung der chinesischen Raumstation mit dem Start zweier weiterer Module sein, und danach der Beginn der regulären Nutzung. In diesem Jahr werden auch erstmals zwei bemannte chinesische Raumschiffe gleichzeitig im Orbit sein, denn erstmals wird zwischen den Crews von Shenzhou 14 und 15 ein „Handover“ im Weltraum erfolgen. 

6.
Am 1. August ist der Start der Asteroiden-Mission Psyche zum gleichnamigen Metall-Asteroiden geplant.  Mit an Bord auch die zwei Janus-Sonden die je einen Doppelasteroiden ansteuern sollen.

5.
Im Mai startet auf einer der letzten Ariane 5-Raketen die europäische Jupitersonde JUICE.

4.
Merken Sie sich den 27. Dezember, um 1:14 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Dann wird nämlich der Einschlag der Raumsonde DART in den Mond des Asteroiden Didymos erfolgen. Der trägt den Namen Dimorphos.

3.
Im September soll der Start des ExoMars-Rovers „Rosalind Franklin erfolgen. Im Juni 2023 versucht er mit Hilfe des „Kasatschok-Landers“ eine Landung im Oxia Planum. Er sollte ja schon 2018 auf die Reise gehen und dann 2020. Beide Male gelang es nicht, ihn startklar zu bekommen. Die ganze Mission wird ein filmreifer Cliffhanger. Nervenkitzel pur. Das geht schon beim Start los, denn der erfolgt auf der chronisch unzuverlässigen Proton M. Die Landung auf dem Mars im Juni 2023 wird auf einer in Russland bei Lawotschkin gebauten Landestufe absolviert. Auch hier gibt es ein ungutes Gefühl. Ein US-Skycrane wäre mir bedeutend lieber gewesen, wenn ich mir mal die magere „Erfolgsgeschichte“ russischer Marslander vor Augen halte.

2.
Das erste Starship von SpaceX ist praktisch jetzt schon startfertig. Alles hängt nun davon ab, wie lange das Genehmigungsverfahren der FAA noch dauert. Laut eigener Ankündigung der Behörde ist es nicht vor Ende Februar abgeschlossen. Und dann muss auch die „Environmental Impact Study“ der US-Umweltbehörde so ausfallen, dass diese Monsterrakete starten kann. Sollten durch die Bürokratie keine allzulangen Verzögerungen entstehen, dann könnten 2022 drei oder vier Starship-Starts stattfinden. Flug Nummer 1, irgendwann im mittleren Frühjahr, dürfte allerdings – im besten SpaceX-Stil – noch grandios scheitern. Alles andere wäre ein glattes Wunder.

1.
Start des ersten „Space Launch Systems“ (SLS) zur Mission ARTEMIS I, dem unbemannten Testflug des Orion-Gesamtsystems bestehend aus der SLS-Rakete und dem Orion-Raumschiff. Die Mission dauert mindestens 25 Tage, geht in eine Mondumlaufbahn und ist überaus ambitioniert. Wenn es klappt, dann läutet es die Rückkehr von Menschen zum Mond ein.