China im Höhenflug und keiner schaut hin

Ein bisschen komisch ist das schon. Chinas Raumfahrt ist im Höhenflug und keiner scheint es zu bemerken. Dabei tun sich da derzeit wirklich große Dinge. Und man kann nicht sagen, dass die Chinesen damit so furchtbar geheim tun, wie die westliche Presse immer behauptet. Es schaut halt einfach keiner hin. Neben den großen gibt es auch zahlreiche überraschende „kleine“ Aktivitäten. Wobei auch diese „kleinen“ so groß sind, dass sie für das bräsige Europa Sensationsprogramme wären. Aber lassen wir die mal beiseite und schauen heute bei den „Flagships“ vorbei.

Vor ein paar Tagen hat China die Besatzungen für  die bemannten Missionen Shenzhou 12 und 13 bekannt gegeben. Shenzhou 12 wird im Juni starten. Die Crew besteht aus Nie Haisheng, Deng Qingmin und Ye Guangfu. Zwei davon sind Taikonauten der ersten Stunde im chinesischen Raumfahrtprogramm, aber nur einer hat bislang Raumflugerfahrung, und das ist Kommandant Nie Haisheng. Er ist 56 Jahre alt und war schon zweimal im Orbit: Mit Shenzhou 6 und mit Shenzhou 7. Die beiden anderen sind „Rookies“. Einen könnte man sogar als „Alt-Rookie“ bezeichnen, denn Deng Qingmin stammt noch aus der ersten Taikonautenauswahl von 1995 und ist inzwischen 55 Jahre alt. Ye Guangfu stammt aus der Gruppe 2 von 2010 und ist mit 41 deutlich jünger.

Nie Haisheng

Shenzhou 13 wird im September oder Oktober starten. Die Besatzung besteht aus Liu Boming, Chen Dong und Zhang Lu. Liu Boming ist ebenfalls 55 Jahre als, war mit Shenzhou 7 im Orbit und das vielleicht noch bemerkenswertere ist, dass er den militärischen Rang eines Generalmajors bekleidet. Damit dürfte er der höchstrangige Militär sein, der jemals in den Weltraum geflogen ist. Chen Dong ist 42 und flog bereits mit Shenzhou 11. Zhang Lu ist ein „Rookie“, der aus der Gruppe 2 stammt. Über dessen Alter und Status konnte ich noch nichts herausfinden, er dürfte aber Anfang 40 sein.

Die Besatzungen für Shenzhou 14 und 15 stehen mit Sicherheit auch schon fest, sind aber noch nicht bekannt gegeben. Diese vier Crews haben keine geringere Aufgabe, als die Chinesische Raumstation zu errichten. Die erste Mission dazu können wir Ende April oder Anfang Mai erwarten, wenn das Basismodul der Station mit einer Langer Marsch 5 starten wird. Wenn alles klappt, dann geht das Schlag auf Schlag in elf Schritten.

Die chinesische Raumstation wird, wenn alles gut geht, in den nächsten 18 Monaten mit diesen elf Missionen errichtet (Quelle: @closertospace)

Seit Jahrzehnten beobachte ich die chinesische Raumfahrt und bin beeindruckt vom stetigen, unbeirrbaren Takt, mit dem das Land Schritt für Schritt auf dem Entwicklungsweg hin zur führenden Raumfahrtnation voranschreitet. Alles läuft – scheinbar – so langsam und bedächtig, wie es einem Land mit einer tausende Jahre alten Geschichte zusteht. Wo andere mit kurzzeitigen Höchstleistungen brillieren, nur um dann gleich wieder nachzulassen und alles wieder hinzuwerfen, wo andere ihre Programme mit jedem Regierungswechsel auf den Kopf stellen und kaum irgendwo eine Langzeitstrategie jenseits der nächsten Wahl erkennbar ist, geht China mit stoischer Stetigkeit und Zielstrebigket voran.

Man muss sich vor Augen halten: Das Land war in Sachen Raumfahrt noch in den siebziger Jahren auf einem Stand wie heute der Iran oder Nordkorea. Inzwischen sind sie fast gleichauf mit den USA. Doch in diesem Jahr lassen sich selbst für Chinas Understatement-Strategie Schlagzeilen kaum vermeiden.

Chinesische Raumstation Ende 2022

Vor einigen Wochen ist eine hoch komplexe Mars-Sonde namens Tianwen-1 am Roten Planeten angekommen. Bestehend aus Orbiter, Lander und Rover. Im Mai wird der Lander, der derzeit noch am Tianwen-Orbiter befestigt ist, den Abstieg zur Oberfläche versuchen. Klappt es, wäre China damit auch in der Disziplin Marsflug die Nummer zwei in der Weltrangliste.

Die Nummer 1 sind sie schon in Spezialgebieten am und auf dem Mond. Kaum bekannt ist, dass das Land eine Datenrelaysonde am Lagrange-Punkt 2 des Erde-Mond-Systems platziert hat.  65.000 Kilometer hinter der Mondrückseite. Die braucht China, um mit ihrer Landesonde Chang’e 5 in Verbindung zu bleiben, die vor gut einem Jahr auf der Mondrückseite gelandet ist. Chang’e 5 hat einen kleinen Rover namens Yutu 2 dorthin mitgebracht, der seither dort muntere Forschungsfahrten unternimmt. Auf der erdzugewandten Seite des Mondes nach wie vor aktiv ist übrigens auch Chang‘3, der schon 2013 dort gelandet ist.

Und nun zu den Weichenstellungen, die China gerade eben für seine Zukunft im Cislunaren Raum und darüber hinaus stellt. Anders als dem verschnarchten Europa ist es China klar, dass die Claims für die wirtschaftliche Nutzung des erdfernen Raumes, vom Mond über die Lagrange-Punkte hinaus bis zu den erdnahen Asteroiden, in diesen Jahren abgesteckt werden. Die Märkte die sich hier auftun, werden zwar erst in einigen Jahrzehnten von Leben erfüllt und lukrativ sein, aber wer jetzt nicht seine Ansprüche anmeldet, den wird das Leben bestrafen. Nur wer jetzt schon losmarschiert, kann künftig die Regeln bestimmen. Und, glücklicher Zufall für China: was den Mond betrifft, schaltet Amerika dieser Tage grade wieder einen Gang runter.

Anfang des Monats wurde bestätigt, dass der nächste chinesische Fünfjahresplan die Fortführung der Entwicklung der Langer Marsch 9 vorsieht. Die Rakete wird 93 Meter lang, verfügt über einen Durchmesser von 10 Metern und ein Startgewicht von 4.140 Tonnen. Das Nutzlastgewicht für den niedrigen Erdorbit wird 140 Tonnen betragen. Die Langer Marsch 9 wird Chinas Rakete für Mond und Mars und darüber hinaus. Die Entwicklung soll beschleunigt weiterlaufen. War bisher ein Erstflug im Jahre 2030 vorgesehen, peilt man jetzt eher 2028 an.

Neuer Crew-Träger für Chinas Mondprogramm

Zusätzlich wurde aber – und das war auch mir neu – die Entwicklung einer neuen Crew-Trägerrakete mit großer Nutzlastkapazität angestoßen. Sie trägt die informelle Bezeichnung Langer Marsch 921. Das ist eher ein Spitzname, denn es referiert auf ein aufgegebenes bemanntes Programm früherer Jahrzehnte. Diese Rakete lehnt sich konstruktiv an die Langer Marsch 5 an. Es wird ein 3-Core-Startgerät, das optisch ein wenig an die Delta Heavy erinnert, aber deutlich größer ist als diese. Ein zentraler Booster und zwei seitliche Einheiten, alle drei gleich groß und mit jeweils sieben YF-100K Triebwerken an jedem dieser „Cores“ ausgerüstet.  Das Startgewicht liegt bei 2.200 Tonnen und die Rakete ist in der Lage, etwa 25 Tonnen auf eine lunare Transferbahn zu senden.

Größenvergleich Langer Marsch „921“ und Langer Marsch 5

Damit zeichnet sich jetzt auch das bemannte lunare Szenario ab. Eine chinesische Mondlandung wird mit zwei Raketen durchgeführt. Einmal mit der “921”, die das bemannte Raumschiff (das im Übrigen ebenfalls schon die erste – noch unbemannte – Flugerprobung im Weltraum hinter sich hat) und einmal die komplette Mondlandeausrüstung mit der Langer Marsch 9, die mindestens 50 Tonnen Nutzlast zum Mond senden kann. Crew-Modul und Lander führen in der Mondumlaufbahn ein Rendezvous- und Docking-Manöver durch. Die Crew steigt um und landet auf dem Mond. Eine  Strategie, die viele der Beschränkungen hinter sich lässt, mit denen Apollo leben musste (und mit denen im Übrigen auch das Orion-Programm lebt). Der Erstflug dieses Triple-Core-Trägers ist für 2025 vorgesehen.

Aber das liegt noch etwas in der Zukunft. Schauen wir uns in den nächsten Wochen erst einmal an, wie es für China mit der Raumstation und dem Mars weiter läuft, denn wie gesagt: Chinas Raumfahrt ist im Höhenflug.